Bonn — Branchenübergreifend sind Exits entscheidend. Aber trotz einiger attraktiver Beteiligungsverkäufe gehen Experten davon aus, dass sich der Bottleneck ans Ende der Wertschöpfungskette verschoben hat.
Ein Beispiel: Sie nehmen Ihr Auto und fahren in den Urlaub ans Mittelmeer. Sie haben alles gut vorbereitet. Sie machen sich keine Gedanken darüber, dass Ihr Auto weitere Tankfüllungen benötigen wird, damit Sie ihr Urlaubsziel erreichen können. Denn Sie sind sicher, dass Sie genügend Tankstellen auf dem Weg finden werden.
Ganz anders bei Start-ups. Zum Zeitpunkt der Gründung ist Ihnen klar, dass Sie weitere finanzielle Mittel benötigen werden, wenn Sie wachsen wollen. Aber Sie kennen weder die Investoren der nächsten Runde noch wissen Sie, ob es überhaupt Interessenten für Ihre Idee gibt. Ein guter Seed-Investor wird sicher nicht die Erstfinanzierung tätigen, solange er nicht daran glaubt, für die nächsten Unternehmensphasen weitere Investoren zu finden. Niemand will im sogenannten Tal des Todes stecken bleiben. Vor etwa zehn Jahren waren Seed-Investments der Bottle-Neck. Einige Jahre später stand zwar deutlich mehr Seed-Kapital zur Verfügung, aber ohne global agierende Investoren waren bedeutende Wachstumsinvestitionen kaum zu bekommen. Und diese Investoren waren nicht leicht zu überzeugen. Heute hat sich die Situation deutlich verbessert. Start-ups, die sich mit technisch getriebenen Innovationen beschäftigen, haben gute Chancen, in allen Phasen Geld für ihre Entwicklung zu bekommen. Größere Runden mit Volumen über zehn Millionen Euro sind möglich. Aber dennoch scheint es aus Sicht einzelner Start-ups sehr anspruchsvoll zu sein, Zugang zu den richtigen Investoren zu bekommen.
Den richtigen Investor auswählen
Deshalb ist es so wichtig, gerade zu Beginn der Unternehmensentwicklung den richtigen Investor auszuwählen. Dieser sollte in der Lage sein, die Türen zu anderen Investoren zu öffnen. Der Markt der Start-up-Finanzierung ist sehr intransparent. Ohne Kontakte bekommen Sie kaum Zugang zu vermögenden Privatpersonen, Konzernen oder internationalen Risikokapitalfonds. Außerdem müssen Sie hochqualifiziert sein, denn ein Pitch vor Investoren unterscheidet sich deutlich von einem Sales Pitch. Vor allem geht es dabei um das Vertrauen in das Team. Im Hinblick auf zusätzliche Finanzierungsrunden müssen Sie zudem sicherstellen, dass Investoren die Möglichkeit haben, auch in Folgerunden weiter investieren zu können.
Die aktuelle Finanzierungssituation scheint in Ordnung zu sein. Wir sehen große Seed-Runden von über 10 Millionen Euro im Bereich der Arzneimittelentwicklung und außerordentlich hohe Investitionen in Deep-Tech- und Software-Unicorns. Es ist nicht nur der Vision Fund, der mit seinen Investments in AUTO1 und Get Your Guide neue Leuchttürme im europäischen Ökosystem für Start-ups geschaffen hat. Es finden viele bedeutende Finanzierungsrunden statt. So konnten die HTGF-Portfoliounternehmen allein im Jahr 2018 mehr als 120 Folgefinanzierungsrunden mit einem Volumen von rund 400 Millionen Euro abschließen.
Die Situation ist jedoch von Sektor zu Sektor verschieden. Wenn Sie mit Ihrem Elektroauto ans Mittelmeer fahren wollen, werden Sie vorab sorgfältig über Ladestationen nachdenken. Möglicherweise ändern Sie sogar Ihr Ziel, da es dort keine Lademöglichkeiten gibt. Wenn Sie ein Unternehmen in der Chemiebranche gründen, werden Sie wahrscheinlich erhebliche Finanzierungsprobleme haben, um Ihre Produktionsanlagen von Pilot- auf Demonstrationsanlage oder auf den Industriestandard zu erweitern. Diese Scale-up-Investitionen werden als unsexy angesehen. Daher werden hier hochspezifische Investmentfonds benötigt. Diese Fonds müssen qualifizierte Investoren sein, die einerseits Geld beisteuern, andererseits auch über Fachwissen und ein Netzwerk zu anderen Investoren verfügen.
Branchenübergreifend sind attraktive Exits entscheidend, denn Investoren suchen hohe Renditen und lassen sich von guten Erfolgsgeschichten inspirieren. Trotz einiger attraktiver Beteiligungsverkäufe gehen Experten davon aus, dass der Bottle-Neck sich an das Ende der Wertschöpfungskette verschoben hat. Die meisten mittleren und großen Unternehmen interessieren sich zunehmend für High-Tech-Start-ups, sie zeigen aber wenig Motivation, diese auch für eine attraktive Bewertung zu kaufen. Die großen Unternehmen in Deutschland führen zwar ihre Fusionen und Übernahmen professionell durch, konzentrieren sich aber hauptsächlich auf profitable, ertragsstarke Unternehmen. Start-ups werden von lokalen Käufern oft unterbewertet oder in vielen Fällen von Amerikanern oder Asiaten gekauft, die ein Premium für gute deutsche Technologieunternehmen zahlen. Um diese Situation zu verbessern, brauchen wir mehr Erfolgsgeschichten, die uns Benchmarks und Peers liefern. Der beste Weg, diese Leuchttürme zu schaffen, ist die Börse.
Börsengang
Initial Public Offerings (IPOs) von High-Tech-Start-ups sind jedoch nicht möglich oder nicht attraktiv genug, da die europäischen Börsen zu wenig Liquidität für Tech-IPOs bieten. Ein Grund dafür ist, dass wir in Europa rund 30 Börsen haben, die miteinander um die Liquidität konkurrieren, während es in China und den USA nur zwei bzw. drei Börsenplätze gibt, die somit über große Liquidität verfügen.
Zum Zeitpunkt an dem ein deutsches Biotech-Start-up im Wert von rund 40 Millionen Euro an einer europäischen Börse fast verhungert, hat das Münchner Biotech-Unternehmen Immunic einen Reverse Takeover abgeschlossen, um im April 2019 an der NASDAQ notiert zu werden. Immunic wird in Kürze weitere klinische Daten präsentieren, so dass sie sehr gute Aussichten haben, weitere Mittel für die nächsten Entwicklungsstufen ihrer Medikamente – mit einem Marktvolumen von jeweils über einer Milliarde Dollar – aufzubringen. Dies war eine extrem clevere und unternehmerische Transaktion, die uns lehrt: Solange wir keinen starken Marktplatz für Technologie-Start-ups in Europa haben, müssen wir uns intensiver mit anderen Ökosystemen verbinden, um den verbleibenden Engpass in der Wertschöpfungskette, die Exits, zu beseitigen.